Was die Gründerväter wohl dazu sagen würden? Als Adolf Mann und Erich Hummel ihr Unternehmen, das ihre beiden Nachnamen tragen sollte, 1941 aus der Taufe hoben, war das erste moderne Auto mit Verbrennungsmotor gerade einmal 55 Jahre alt. Die Filtrationstechnik steckte in den Kinderschuhen. Die Herren Mann und Hummel bauten eine Entwicklungs- und Versuchsabteilung mit Motorprüfständen auf – und ein Unternehmen von weltweitem Renommee. Und jetzt, nachdem die 20.000 Mitarbeiter an 60 internationalen Standorten gerade erst das 75-Jahr-Firmenjubiläum feierten, steht ein neuer Wendepunkt an. Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellen- Mobile nehmen Fahrt auf. Kommt das Filtergeschäft unter die Räder?
Zwischen 85 und 90 Prozent des Umsatzes (2016: rund 3,5 Milliarden Euro) macht Mann+Hummel in der Automobilbranche. Der überwiegende Teil davon entfällt auf Produkte, die mit dem Verbrennungsmotor zusammenhängen, etwa Kraftstoff- und Ölfiltersysteme. Produkte, die es bei E-Autos nicht gibt. Zwar liegt Deutschland bislang in Sachen alternative Antriebe noch im Mittelfeld, die großen Hersteller arbeiten aber mit Hochdruck an neuen Produkten. Daimler beispielsweise will nach eigenen Angaben bis 2025 mehr als zehn Elektro-Pkw- Modelle auf den Markt bringen. Angepeilt wird ein Anteil am Absatz von 15 bis 25 Prozent.
Für die Zulieferer bedeutet das, sich auf den Wandel einzustellen, wenn das “window of opportunity”, das Fenster der Veränderungsmöglichkeit sich öffnet. Das herkömmliche Geschäftsmodell könnte alsbald zum Auslaufmodell werden. Wer erinnert sich noch an die guten alten Kameras mit analoger Technik und an das Fotopapier von Kodak? Fast über Nacht veränderte sich der Markt. So mancher Platzhirsch starb plötzlich und unerwartet. “Jetzt bilden sich die Lieferketten, jetzt lernen Lieferanten und Kunden, wie die Komponenten in der Elektromobilität funktionieren, jetzt wird in Feldtests ermittelt, welche Produkte zum Unternehmen passen, jetzt werden wichtige Patente eingereicht.” Mit diesen Worten schwor Dr. Michael Harenbrock bereits 2014 die Mann+Hummel-Belegschaft auf die Zeitenwende ein. Harenbrock verantwortet in der Vorentwicklung Innovationsprojekte zum Thema E-Mobility. Seine Aufgaben: den Markt beobachten, analysieren und auf dieser Basis Ideen für neue Produkte entwickeln.
Mann+Hummel hat sich schon vor Jahren in mehrere Richtungen positioniert. Generell verfolgt man in Ludwigsburg den Ansatz, bestehende Kompetenzen in veränderten Produkten einzusetzen. Ein Beispiel sind Batterierahmen für sogenannte Pouch-Zellen, die Stabilität und Schutz für flüssigkeitsgekühlte Hochvolt-Batterien bieten. Sie sind bereits in der zweiten Generation bei einem nordamerikanischen Automobilhersteller verbaut. “Das war für uns ein völlig neues Produkt. Für diese Innovation konnten wir unsere jahrzehntelange Expertise in der Kunststofftechnologie einsetzen”, sagt Harenbrock.
Ein weiteres Beispiel: Filtration und Separation bei einer auswechselbaren Trocknerkartusche, die Feuchtigkeit im Batteriesystem bindet. Ein System, das Mann+Hummel so ähnlich bereits in Trockenmittelboxen für pneumatische Bremssysteme etabliert hat. Auch hier funktionierte also der Wissenstransfer in eine neue Anwendung. Ohnehin können viele Komponenten eins zu eins vom Verbrenner ins E-Auto umgesetzt werden. Kabinenluftfilter bleiben Kabinenluftfilter. Der Passagier will auch im Elektromobil vor Pollen, Gerüchen, schädlichen Partikeln oder Gasen geschützt werden. Auch auf aktuelle Entwicklungen reagiert man in Ludwigsburg – Stichwort Feinstaubalarm. So hat Mann+Hummel einen Filter entwickelt, der den Abrieb von Autobremsen auffängt. Denn dieser macht laut dem Unternehmen rund ein Fünftel der verkehrsbedingten Feinstaubemission aus.
Aber freilich muss man auch über den Tellerrand hinausschauen. Das Auto reicht vielen Firmen schon lange nicht mehr aus. Eine weitere Branche, in die etwa Mann+Hummel bereits seit Jahren stößt, ist die Gebäudefiltration. So sind ein Terminal am Londoner Flughafen Heathrow oder zahlreiche Operationssäle mit Produkten des Ludwigsburger Spezialisten ausgestattet. Zudem engagiert sich das Unternehmen in der Industrieund Wasserfiltration. Auf mehreren Standbeinen steht sich’s besser. In Aktionismus oder gar Panik will bei Mann+Hummel ohnehin niemand verfallen. “Eine Million mehr E-Autos heißt nicht, dass es deswegen eine Million weniger Autos mit Verbrennungsmotoren gibt”, sagt Harenbrock.
Wann genau die neue Zeitrechnung beginnen wird? Vorausschauende Befunde sind schwierig. Auf jeden Fall könnte es ein schleichender Prozess werden, denn neben boomenden Leitmärkten gibt es auch die Flächenregionen, in denen eine E-Struktur mit Ladesäulen überhaupt erst aufgebaut werden muss. Bei Mann+Hummel geht man deshalb davon aus, noch lange Zeit von Produkten für Verbrennungsmotoren leben zu können. Auch wenn ab morgen keine Verbrenner mehr gefragt wären, würden trotzdem noch jahrelang Wechselprodukte gebraucht. Entwicklungen wirken sich mit Verzögerung aus. Was Michael Harenbrock indes nicht verschweigt: Der grundsätzliche Trend weg vom Verbrennungsmotor ist eingeläutet. “Wie stark und wie schnell sich das auf unseren Umsatz auswirken wird, hängt maßgeblich davon ab, wie rasch sich der Markt entwickelt – da halte ich mich mit Prognosen zurück.”
Text: Caroline Holowiecki
Dieser Text ist dem Magazin “nemo – Neue Mobilität in der Region Stuttgart” entnommen, das Sie auf Issuu online lesen können.