Nur noch zehn Sekunden bis zur Landung. Das blaue Miniflugzeug brummt wie ein ganzer Bienenschwarm, während es sich senkrecht nach unten manövriert. Am Boden angekommen, legt es ein kleines Päckchen vor der Haustüre ab und summt eilig wieder davon. Und schon sind sie da, die neuen Fußballschuhe. Per Luftpost geliefert. In einer gelben Plastikbox. Keine halbe Stunde, nachdem sie bestellt worden sind.
So jedenfalls stellt sich Jeff Bezos, Gründer und Chef des Online-Versandhändlers Amazon, die mobile Zukunft seines Unternehmens vor. Erst jüngst hat der Konzern per Videobotschaft ein neues Modell seiner selbst entwickelten Lieferdrohne vorgeführt, die laut Amazon bis zu 24 Kilometer zurücklegen kann und eines nicht allzu fernen Tages einen Großteil dessen durch die Luft befördern soll, was von den Kunden bestellt und in den Logistikzentren aus den Regalen geholt wird. “Prime Air” nennt sich der futuristische Lieferdienst, mit dem Bezos die umweltfreundlichere und schnellere Variante zum Transport per Lastwagen propagiert. “Ich weiß, das sieht nach Science-Fiction aus”, sagt er am Ende seiner Videobotschaft. “Das ist es aber nicht.”
Auch andere Experten glauben daran, dass Drohnen in einigen Jahren das Transportwesen als mobile Alternative in der Luft revolutionieren werden. Nicht wenige allerdings halten die ambitionierten Pläne des Online-Händlers für eine veritable Luftnummer, die allerspätestens am Veto der US-Flugaufsichtsbehörde scheitern wird. Zu den Skeptikern gehört auch Werner Mayr, der es wissen muss, weil er vom Fach ist und sich mit unbemannten Fluggeräten am Himmel bestens auskennt. Der 57 Jahre alte Vermessungsingenieur hat Anfang 2012 die Firma GerMAP gegründet, die ihren Sitz passenderweise im Luftkurort Welzheim hat. Das Unternehmen ist auf die Erhebung von Geodaten spezialisiert und gehört dabei zu den ganz wenigen Firmen weltweit, die dafür Drohnen einsetzen. Oder besser: unbemannte Luftfahrzeuge, Unmanned Aerial Vehicle (UAV), wie die korrekte Bezeichnung für die Flugkörper in Mayrs Sortiment lautet.
Unmanned Aerial Vehicle (UAV) lautet die korrekte Bezeichnung für Mayrs Flugkörper im Sortiment
Am wesentlich geläufigeren Begriff Drohnen stört sich Werner Mayr schon deshalb, weil damit Fluggeräte bezeichnet würden, die für militärische Zwecke eingesetzt werden, so der Geschäftsführer, der Wert auf den richtigen Sprachgebrauch legt, wie er sagt: “Drohne geht in die falsche Richtung.” An ein Szenario, wie es von Amazon derzeit gezeichnet wird, will und kann er schon deshalb nicht glauben, weil in Deutschland und auch sonst in Europa schlicht die Vorschriften dagegen sprechen. Die Freiräume, die das Luftfahrtgesetz für autonomes Fliegen lässt, sind äußerst begrenzt: Bis zu 100 Meter hoch und maximal bis zum Ende der Sichtlinie des Piloten dürfen die unbemannten Flugkörper unterwegs sein. “Um außerhalb der Sichtweite fliegen zu können, bräuchte man eine besondere Einzelflugerlaubnis. Und die gibt es in Deutschland in der Regel nicht”, betont Werner Mayr.
Eine der wenigen Ausnahmen ist das postgelbe Vehikel des Logistikunternehmens DHL, welches die knapp 1.500 Bewohner auf der Nordseeinsel Juist in eiligen Fällen und testweise mit Medikamenten versorgt hat. Für die zwölf Kilometer vom Festland bis zur Seehund-Apotheke auf der Insel benötigt das Fluggerät je nach Wind rund 16 Minuten – schneller geht’s kaum. Seit das weltweit einzigartige Pilotprojekt im Jahr 2014 zusammen mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen gestartet wurde, war der Paketkopter laut DHL mehr als 40 mal ohne Zwischenfall im Einsatz. Bei zwei Flügen habe er bei akuten Notfällen helfen können, so ein Sprecher des Unternehmens, das aufgrund der gemachten Erfahrungen das Einsatzgebiet für den postgelben Flieger ausgedehnt hat: Auch zwischen der Talstation in Reit im Winkel und der Winkelmoosalm auf der Höhe sind die Pakete in den vorigen Monaten testweise immer wieder angeflogen gekommen.
Allzu schwer darf die Luftfracht allerdings nicht sein, worin Werner Mayr ein zweites gravierendes Problem sieht, dass gegen eine nahende Invasion der Lieferdrohnen spricht. Mit knapp zwei Kilogramm “Gepäck” ist solch ein Fluggerät bereits voll beladen und an der Grenze des Machbaren. “Das schränkt die Möglichkeiten natürlich enorm ein”, sagt Mayr. Er selbst bestückt seine Fluggeräte lediglich mit handlichen Fotokameras, die in einem bestimmten Takt und auf vorgegebener Route Luftbilder von einem Areal machen sollen, das überflogen wird. Die Aufnahmen dienen unter anderen dazu, um am Computer dreidimensionale Geländemodelle zu entwerfen, die für ganz unterschiedliche Anwendungen und Zwecke benötigt werden.
Zu den Kunden des Unternehmens gehören beispielsweise etliche Deponiebetreiber im ganzen Land, die dokumentieren müssen, wie hoch beispielsweise die Müllberge schon angewachsen sind. Der schnellste und sicherste Weg, um das festzustellen, ist die Vermessung des Geländes im Überflug, der je nach Größe des Areals zwischen 20 und 40 Minuten dauert. “Mit den raumbezogenen Daten können wir dann alle möglichen Modelle erstellen”, sagt Werner Mayr, der nicht nur Anfragen aus Deutschland hat. Auch in Moldawien, Hongkong, Russland, den Niederlanden, Norwegen, Mexiko und anderswo sind die unbemannten Flieger aus dem Hause GerMAP gefragt.
In Mexiko hatte das Welzheimer Unternehmen eines seiner Modelle an eine Vermessungsfirma geliefert, die überwiegend für Tagebaufirmen arbeitet. Die Luftaufnahmen von den Steilwänden und Gruben dienen als Grundlage für dreidimensionale Modelle und Volumenberechnungen, die mit dieser Technik punktgenau aufgestellt und angestellt werden können. Bestens geeignet ist die von Mayr angewandte Methode aber auch, um beispielsweise Kühltürme, Strommasten oder Brücken kleinräumig abbilden und damit deren Zustand dokumentieren zu können. “Momentan gibt es weltweit nur sehr wenige Firmen, die so etwas anbieten”, sagt der Geschäftsführer.
Überwiegend stellt das Welzheimer Unternehmen in seinen Räumen sogenannte Tragflächenflugzeuge her, die elektrisch betrieben werden und wesentlich weniger Energie verbrauchen als Multikopter, die ihrerseits wiederum etwas vielseitiger in der Luft sind, etwa auf der Stelle fliegen können. Die orange-schwarz lackierten Modelle mit Namen “G180”, “G 212” oder “G 220” werden dabei aber nicht von Grund auf selber gebaut, wie Mayr vor Ort in Welzheim erklärt. Basis für die GerMAPÜberflieger sind reguläre Modellflugzeuge, die für ihren speziellen Einsatz in der Werkstatt des Unternehmens getunt, umgebaut und mit der notwendigen Technik ausgestattet werden. Neben Vermessungsingenieuren wie Mayr selbst, der an der Technischen Universität München studiert und promoviert hat, sind bei GerMAP daher auch Modellbauer beschäftigt, die zusammen mit einem Softwarespezialisten und einem Ingenieur ständig auch an Neuentwicklungen forschen.
Die jüngste Innovation ist ein Modell mit einer stolzen Spannweite von 400 Zentimetern, im Gegensatz zu den Vorgängern wurde dieser Flieger zudem komplett im Haus entwickelt und gebaut. Unter anderem haben die Entwickler ihrem Fluggerät einen großen Bauch verpasst, in dem nun viel Platz für Sensoren, Kameras und andere Vermessungstechnik ist. Auf der Intergeo, der Leitmesse für Geoinformationen, wurde das Fluggerät neben anderen Modellen im vergangenen Jahr bereits unter großer Beachtung vorgestellt. “Damit können wir noch länger in der Luft bleiben und noch größere Flächen fliegen”, sagt Mayr, der knapp dreißig Jahre bei verschiedenen Firmen als Vermessungsingenieur gearbeitet und sich dabei immer wieder mit den unbemannten Flugzeugen beschäftigt hat.
“Am Ende steht aber dennoch ein Pilot am Boden, der die Verantwortung hat und gegebenenfalls eingreifen muss.”
Weil es zu seinen Vorstellungen kein passendes Modell gab, hat er sich kurzerhand selbständig gemacht – und das mit zunehmendem Erfolg. Neben Industriebetrieben und Verkehrsunternehmen wie etwa der Deutschen Bahn gehören auch Landesregierungen und Kommunen zu seinen Kunden. Auch in Welzheim selbst hat Mayr schon im Auftrag der Stadtverwaltung Luftbilder von einem Industriegebiet gemacht, das erweitert werden sollte. Ein diffiziler Job über bewohntem Gebiet, für den es eine Ausnahmegenehmigung braucht. Ungeplante Zwischenfälle hat es bisher noch keine gegeben und damit das so bleibt, lautet die Devise: Sicherheit geht vor. Wer immer eine “Kamera mit Flügeln” von seinem Unternehmen kauft, bekommt als Erstes eine dreitägige Schulung, wie die kleinen und ultraleichten Tragflächenflugzeuge zu bedienen sind. “Unsere Luftfahrzeuge werden zwar per Autopilot über GPS-Koordinaten gesteuert”, betont Mayr. “Am Ende steht aber dennoch ein Pilot am Boden, der die Verantwortung hat und gegebenenfalls eingreifen muss.”
Auch auf der Technologiemesse Cebit, die den Drohnen in diesem Jahr eine ganze Halle gewidmet hat, ist es vielfach um das Thema Sicherheit und um jene Risiken gegangen, die mit einem immer vielfältigeren Einsatz der unbemannten Luftfahrtsysteme verbunden sind. Der Markt boomt enorm: Alleine in der Bundesrepublik Deutschland wurden im vergangenen Jahr 300.000 ferngesteuerte Fluggeräte verkauft, die in zunehmendem Maße den Luftraum bevölkern. Weltweit waren es knapp vier Millionen. Die komplexen Regelungen zur Nutzung der Drohnen, also etwa die Flugverbotszonen um Flughäfen, Menschenansammlungen oder Industrieanlagen, sind nach Einschätzung der Experten dabei den wenigsten der privaten Nutzer bekannt. So berichtet etwa die Piloten-Vereinigung Cockpit in regelmäßigen Abständen von Drohnensichtungen. Und bei der US-Luftaufsichtsbehörde FAA kommen jedes Jahr mehrere hundert solcher Pilotenberichte zusammen, weshalb gerade ein Abwehrsystem für die großen Airports des Landes getestet wird.
Dass in absehbarer Zeit Tausende von Drohnen durch die Luft schwirren, um Pakete auszuliefern, kann sich Werner Mayr auch aus diesem Grund nicht so recht vorstellen. Er sieht den Nutzen der innovativen Technologie eher auf anderem Gebiet, beim Bau von neuen Zugtrassen etwa, beim Vermessen von Gebieten, bei der Inventur in großen Lagerhallen vielleicht, in der Filmbranche oder auch auf dem weiten Feld der Landwirtschaft. Beim Überfliegen von großen Äckern könne mit speziellen Infrarotbildern über die Farbtöne festgestellt werden, an welchen Stellen gedüngt werden muss”, erklärt er. “Und das ist kein Science- Fiction, sondern bereits Realität.”
Dieser Text ist dem Magazin “nemo – Neue Mobilität in der Region Stuttgart” entnommen, das Sie auf Issuu online lesen können.