Bei den Römern wurde die Pflanze noch in Gold aufgewogen. Im Orient genoss sie jahrtausendelang geradezu Kultstatus und in Europa wurden ihre Eigenschaften als Heilpflanze geschätzt: Der Speick. Seit er 1936 unter Naturschutz gestellt wurde, darf die Pflanze weltweit exklusiv nur von einem Unternehmen aus der Region Stuttgart genutzt werden. In Leinfelden-Echterdingen stellt die Walter Rau GmbH & Co. KG seit 87 Jahren einen absoluten Klassiker der Naturkosmetik her. Die Speick-Seife im klassischen Orange benutzten schon unsere Großeltern. Heute ist aus dem reinen Seifenhersteller ein Produzent von Naturkosmetika geworden, der auch Cremes, Shampoos, Duschgels und Deodorants im Sortiment hat. Männer werden mit eigenen Pflegeserien angesprochen. Wikhart Teuffel, der Enkel des Gründers Walter Rau, führt das Familienunternehmen in der dritten Generation.
Wildwuchs liefert die beste Ernte
Grundlage aller Produkte ist eine Pflanze, die jenseits der Baumgrenze in Kärnten auf 1.800 Meter Höhe wächst. Im Biosphärenpark Nockberge sammeln Almbauernfamilien mit einer Erntelizenz die wertvollen Pflanzen. Mehrere Versuche, ihn unter anderem im Schwarzwald anzubauen, gestalteten sich schwierig. Bis zur ersten Ernte der Wildpflanze vergingen vier Jahre. Doch auch Felder, die im Vierjahres-Turnus bewirtschaftet und abgeerntet wurden, brachten nicht den gewünschten Ertrag. “Zudem ist die Qualität des gezüchteten Speicks nicht vergleichbar mit der des Wildwuchses aus den Kärntner Alpen”, erzählt Wikhart Teuffel. Eine Studie ergab schließlich, dass nur eine maßvolle Ernte den nachfolgenden Pflanzen genügend Kraft gibt. Der Speick muss äußerst vorsichtig ausgegraben werden, damit das umliegende Wurzelwerk nicht zerstört wird.
Verzicht auf Tierversuche
Seit 2003 ist die Pflanze als kontrolliert biologische Wildsammlung zertifiziert . Neben der klassischen Seife hat es auch Cremes, Shampoos und Deodorants im Sortiment. Speick Naturkosmetik verwendet hauptsächlich natürliche Duftstoffe und ätherische Öle. Die Produkte sind konservierungsfrei oder enthalten eine natürliche Konservierung. Alle Pflanzenextrakte werden zum großen Teil selbst hergestellt und kommen grundsätzlich ohne Tierversuche aus. Aus den getrockneten Pflanzen wird in der Firmenzentrale nach eingehender Laboranalyse durch Destillation der kostbare Rohstoff gewonnen. Vor allem die Wurzeln enthalten das ätherische Öl. Künstlich herstellen lässt es sich nicht. “Eine künstliche Produktion käme für uns sowieso nicht in Frage”, betont Wikhart Teuffel, Enkel des Firmengründers und Geschäftsführer von Speick Naturkosmetik.
In jeder Seife steckt Handarbeit
Speick Naturkosmetik gehört zu den wenigen deutschen Seifenherstellern, die nach wie vor einige Produktionsschritte von Hand ausführen. “Bei der Auswahl unserer Rohstoffe und Verpackungen spielen ökologische und soziale Kriterien eine entscheidende Rolle”, erklärt der Firmenchef. Daher arbeitet das Unternehmen vorzugsweise mit Partnern aus der Umgebung zusammen, um lange Transportwege zu vermeiden, aber auch, um den regionalen Wirtschaftskreislauf zu stärken. “Wir leben Nachhaltigkeit seit über 85 Jahren in allen Facetten. Nachhaltigkeit hat für uns höchste Priorität und bildet damit in unserem Alltagsgeschehen den Mittelpunkt”, bekräftigt Teuffel. Diese Haltung ist ein Vermächtnis des Gründers.
Abschied von der Kernseife
Walter Rau wagte die Gründung des Unternehmens im Jahr 1928, mitten in der Weltwirtschaftskrise. Als Sprössling des Stuttgarter Familienbetriebs “Vereinigte Seifenfabriken” wollte er die elterliche Tradition der Seifenherstellung fortsetzen, aber als überzeugter Anthroposoph nicht einfach ein Produkt herstellen. Seine Idee: eine sanfte natürliche Seife zur Körperpflege. In seinem “Feinseifenwerk Walter Rau” belebte er die zu dieser Zeit nahezu in Vergessenheit geratene Pflanze. Ihr wird eine beruhigende Wirkung auf das zentrale Nervensystem nachgesagt, während sie gleichzeitig das vegetative Nervensystem anregt. “Aus der Faszination für die Wirkstoffe des Speick entwickelte mein Großvater ein einzigartiges Produkt: Die Speick-Seife – eine kosmetische Revolution – galt sie doch der Körperpflege und nicht mehr nur der Reinigung”, betont der Enkel Wikhart Teuffel.
Nah dran an Mitarbeitern und Kunden
Zudem bildete Rau seine Mitarbeiter weiter aus, bot berufstätigen Müttern eine betriebliche Kinderbetreuung an und schuf Naherholungsmöglichkeiten für die Angestellten. Nach diesen Grundsätzen arbeitet das Unternehmen heute noch, etwa dass mit berufstätigen Müttern familienfreundliche Lösungen erarbeitet werden. Heute steht das Unternehmen mit seinen 50 Mitarbeitern sehr gut da. Die Pflegeprodukte werden in 34 Länder exportiert. Der Hauptumsatz liegt nach wie vor in Deutschland. Neu hinzugekommen sind Onlineshops. “Naturkosmetik muss dort präsent sein, wo der Kunde ist”, sagt Teuffel. Daher sind Speick-Produkte nicht allein in Apotheken und Reformhäusern, sondern auch in Drogeriemärkten und im Lebensmittelhandel anzutreffen. Eigene Referentinnen sind vor Ort unterwegs und beraten die Kunden.
Nachhaltigkeit wird ausgezeichnet
fast 90 Jahre später wurde das Familienunternehmen beim CSR-Preis 2014 der Bundesregierung mit dem ersten Platz ausgezeichnet. In der Bewertung der Jury heißt es: “Speick-Naturkosmetik überzeugt mit einer nachhaltigen Produktpalette und einem hohen Umweltengagement, vor allem in der Rohstoffgewinnung.” Zudem hob die Jury hervor, dass die Firma trotz geringer Mitarbeiterzahl über einen Betriebsrat verfügt und seine Arbeitsverhältnisse über Tarifverträge regelt. Bereits ein Jahr zuvor hatte Speick Naturkosmetik den renommierten “Deutschen Nachhaltigkeitspreis als nachhaltigste Marke 2013” erhalten.
Hintergrund: Der Kult um den Speick
Der Speick besaß in der Vergangenheit geradezu Kultstatus. Vor über 2.500 Jahren schätzte man die Heilpflanze im Orient wegen ihres würzig-aromatischen Duftes und ihrer gehaltvollen Inhaltsstoffe. Der Legende nach hat Maria Magdalena den Leichnam Jesu mit Speick-Öl gesalbt, was der Pflanze auch den Namen Marien-Magdalenen-Blume einbrachte. Über den Handelsplatz Venedig wurden täglich mehrere Tonnen in alle Welt verschifft und in Gold aufgewogen. Auch medizinisch setzte man die Pflanze ein. Man badete mit Speick, parfümierte sich damit, man heilte verschiedenste Krankheiten mit der Pflanze, die botanisch zu den Baldriangewächsen gehört. Galen, der berühmte Arzt kurierte das Magenleiden des Kaisers Marc Aurel mit der Heilpflanze. Amüsant ist, dass im Mittelalter kleinere Vergehen mit Speick-Arrest bestraft wurden. Der Verurteilte wurde in ein Speick-Lager eingesperrt. Noch mehrere Tage nach seiner Entlassung war er am Geruch für jedermann erkennbar. In kleinen Dosen entwickelt das Kraut ein angenehmes Aroma; in hoher Konzentration wird der Geruch schnell stechend. Der Speick hat einen natürlich-würzigen Duft, den man entweder mag oder nichtl. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die Pflanze in die Türkei, nach Syrien und Marokko sowie den Sudan geliefert. Weil man seine Ausrottung befürchtete, wurde er 1936 unter Naturschutz gestellt.