Am Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart (IFB) werden moderne Faserverbundwerkstoffe, wie sie seit Jahrzehnten erfolgreich im Flugzeugbau eingesetzt werden, mit traditionellen Textiltechniken wie Nähen, Flechten oder Stricken kombiniert. Diese Verfahren werden zunehmend auch für die Automobilindustrie interessant. Die Forscher am IFB sehen den Schlüssel zum Einliterauto in den Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen, da diese enorm leicht sind und folglich zu reduziertem Kraftstoffverbrauch führen. Auch im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus lassen sich die neuen Technologien schnell umsetzen. Nun gilt es, sie für die Serienfertigung zu optimieren.
Wer heutzutage aus einem Flugzeugfenster blickt, sieht immer seltener glänzende Tragflächen aus Aluminium, sondern lackierte schwarze Kohlefaserkonstruktionen. Vor allem im Verkehrsflugzeugbau steigt der Einsatz von Faserverbundwerkstoffen (FWV), wie die kohlenstoffverstärkten Kunststoffe auch genannt werden. So bestehen das Seiten- und Höhenleitwerk, der Flügelkasten und die Flügelkanten, aber auch die Bug- und Landeklappen, Spoiler, Druckkalotten, Rümpfe und Rumpfschalen zunehmend aus FWV. Denn: Faserverbundwerkstoffe sind bis zu 25 Prozent leichter als Aluminium und rund 60 Prozent leichter als herkömmliche Stahlstrukturen. Ihr Einsatz erhöht die Belastbarkeit moderner Flugzeuge, reduziert das Gewicht, verbessert die Aerodynamik und die strukturelle Festigkeit. Zudem senkt das geringe Gewicht die Kosten und steigert die ökologische Verträglichkeit. Auch die Automobilindustrie zeigt Interesse an diesen modernen Werkstoffen. Dies erfordert allerdings neue Serienfertigungsverfahren, die am Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart entwickelt werden. Seit mehr als 50 Jahren wird dort an neuen Faserverbundstrukturen für den Leichtbau geforscht. Mit dem einzigartigen Faserverbundtechnikum besitzt das Institut eine der weltweit modernsten Anlagen dieser Art.
Alte Methoden unterstützen neue Technik
Die neueste Entwicklung bei der Herstellung von maßgeschneiderten Teilen für den Flugzeug- oder den Automobilbau greift traditionelle Methoden auf: Textiltechniken wie Nähen, Weben, Flechten, Stricken oder Sticken werden mit Harzinjektionstechniken oder Mikrowellenhärtung kombiniert. Das erste in dieser Technik hergestellte Bauteil war die Druckkalotte des Airbus A 380. Die über sechs Meter Durchmesser große Kalotte schließt den "Riesen der Lüfte" nach hinten ab. "Bis die Kalotte in die Luft ging, vergingen über 20 Jahre", erklärt Prof. Klaus Drechsler vom IFB.
Die neuen Fertigungsverfahren ersetzen die bisherige aufwändige Prepreg-Technik, bei der vorgefertigte dünne Faserschichten bis zur gewünschten Stärke manuell aufeinander geschichtet werden mussten. Mit Hilfe der neuen "alten" Technik können die Fasern automatisiert belastungsgerecht angeordnet werden. "Das Ganze besitzt einen so hohen Automatisierungsgrad, dass wir damit in die Serienfertigung im Automobilbau gehen könnten", meint Prof. Klaus Drechsler.
Der vernähte McLaren-Mercedes
Während im Flugzeugbau der Anteil kohlenstofffaserverstärkter Kunststoffe am Strukturgewicht bereits über 50 Prozent erreicht hat, finden sich Faserverbundwerkstoffe in der Automobilindustrie bisher vor allem in Anwendungsnischen. "Ein Beispiel sind da die Energie absorbierenden Crashelemente des McLaren-Mercedes SLR. Diese bestehen aus verschiedenen, miteinander vernähten Textilverstärkungen, die im so genannten Resin-Transfer-Molding-Verfahren hergestellt und später mit Harz getränkt werden", erklärt Prof. Drechsler. "Dadurch wird das Fahrzeug leicht und sicher." Auch bei BMW wird kräftig geforscht: Für die Luxuskarosse BMW M6 wurden Stoßfängerquerträger in Flechttechnik hergestellt.
Faserverbundwerkstoffe ermöglichen neben der Herstellung von Bauteilen für den Flugzeug- und Automobilbau noch zahlreiche andere Anwendungen: Auch bei der Tour de France und in Wimbledon bestehen die Sportgeräte heute aus faserverstärkten Kunststoffen. "Wir haben am Beispiel eines gestickten Fahrrad-Brakeboosters das Leichtbaupotenzial der neuen Technologien verdeutlicht. Der Booster sitzt auf der Bremse, fixiert die beiden Bremsarme und verhindert so ihr Zurückrutschen beim Betätigen des Bremshebels. Er stabilisiert das ganze System", sagt Prof. Drechsler. "Unser gesticktes Bauteil ist gegenüber der Aluminiumstruktur und dem konventionell gefertigten Faserverbundbauteil nicht nur leichter, sondern auch drei Mal steifer."
Rasante Entwicklung in Richtung Serienfertigung
Der Einsatz der in den letzten Jahren entwickelten textilen Verarbeitungsverfahren wie Sticken, Nähen oder Flechten ermöglicht bei hoher Produktivität und Automatisierbarkeit belastungsgerechte Anordnungen der Fasern nach dem Vorbild der Natur. Die Forscher am IFB sehen den Schlüssel zum Einliterauto in den Hochleistungsfaserverbundwerkstoffen, da sich durch die enorme Gewichteinsparung auch der Kraftstoffverbrauch drastisch reduziert. Weiterhin arbeiten sie an "intelligenten" Werkstoffen, so genannten Smart Structures, die durch die Einarbeitung sensorischer Komponenten erkennen, ob die Struktur eines Bauteils nach einer Beschädigung noch voll funktionsfähig ist. Noch ganz am Anfang steht die Entwicklung des "Health Monitoring", eines Selbstheilungssystems, mit dem Materialschäden automatisch und auch während des Flugs behoben werden können.
Nicht nur im Flugzeugbau sind in Kleinserien faserverbundgerecht konstruierte Bauteile wettbewerbsfähig. Auf Grund der geringeren Investitionen im Formen- und Werkzeugbau können im Automobilbau Jahresproduktionen von bis zu 20.000 Teilen schon heute kostengünstiger als metallische Baugruppen gefertigt werden. "Auch im Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus lassen sich die neuen Technologien schnell umsetzen", sagt Prof. Drechsler. So ist es nicht verwunderlich, dass sich zu den Kunden und Partnern des IFB neuerdings – neben den Global Players des Flugzeug- und Automobilbaus wie Airbus, Eurocopter, Daimler, Audi und BMW – auch Maschinen- und Anlagenbauer wie Manz oder Voith sowie zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen aus der Region gesellen.