Lässt sich das Fahrrad noch einmal revolutionieren? Wenn es nach dem Willen einer jungen Firma aus der Region Stuttgart geht, lautet die Antwort eindeutig: Ja. Den leidenschaftlichen Bikern und Ingenieuren Christoph Lermen und Michael Schmitz verdarb die klassische Kettenschaltung oft genug den Fahrspaß beim Mountainbiken. "Unsere Suche nach der idealen Fahrradschaltung begann nicht am CAD-Desktop, sondern auf dem Trail."
Die jungen Ingenieure lernten sich während des Studiums beim Sportwagenhersteller Porsche kennen. In dem inspirierenden Umfeld von Hochschule, Entwicklung von automobilem Hightech und privater Bike-Begeisterung reifte gemeinsam die Idee, Techniken und Qualitätsstandards aus dem Automotive-Engineering auf die herkömmliche Fahrradschaltung zu übertragen. "Statt zeitraubender Pflege und Wartung kamen wir zu der Überzeugung, dass es eine bessere Schaltungslösung für Fahrräder geben muss", erzählt Schmitz.
Herausgekommen ist dabei das erste Fahrradgetriebe der Welt, das nach Automobilstandards in Serienreife produziert wird. "Mit dem P1.18-Getriebe haben wir kein einzelnes Produkt, als vielmehr eine neue Basistechnologie entwickelt", erläutert Christoph Lermen den Ansatz der beiden Existenzgründer. Den Aufbau der Firma unterstützen Banken und andere Kapitalgeber – der finanzielle Aufwand für die Entwicklung ist hoch. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 2006. Mittlerweile tüfteln sieben Mitarbeiter und die zwei Chefs – eine junge Crew – weiter an ihrer wegweisenden Idee.
Zahnradübersetzungen sind nichts Neues. Die kannte schon Aristoteles. Da Vinci entwarf derer gleich Hunderte. Leistungsstarke Industriegetriebe gibt es seit den Tagen der Dampfmaschine, und selbst das moderne Stirnradgetriebe ist bereits seit Kaisers Zeiten Standard in der Fahrzeugtechnik. Neu an den Pinion-Radgetriebe ist, "dass es uns gelungen ist, ein Stirnradgetriebe mit zwei hintereinander geschalteten Teilgetrieben und 18 gleichmäßig abgestuften Gängen kompakt und leicht zu konstruieren", erklärt Lermen. Auf diese Weise wird das Getriebe nahezu dauerhaft haltbar und wartungsfrei, versprechen die beiden Ingenieure.
Da alle Teile in einem feinen, kleinen Gehäuse gut geschützt eingekapselt und zentral im Fahrradrahmen integriert sind, ist das Pinion-Radgetriebe eine Alternative zur Kettenschaltung, der letzten technischen Schwäche am Fahrrad. Nabenschaltungen bieten zwar eine Alternative, "deren ungünstige Massenverteilung und der in einigen Gängen deutlich spürbare Kraftverlust liefen unserer Vorstellung von Fahrdynamik, Handling und sportlichem Einsatz aber zuwider", erklärt Schmitz die Entscheidung für den klassischen Getriebeaufbau. Im letzten Jahr sind die ersten Pinion-Getriebe ausgeliefert worden und die Liste renommierter Fahrradhersteller, die die technische Weltneuheit Made in der Region Stuttgart in ihre Modelle eingebaut haben, ist beeindruckend: Staiger, Patria, Koga, Nicolai und Endorfin sind nur einige Marken, die auf die Neuheit setzen.
Erst letztes Jahr sind die Existenzgründer von Stuttgart auf die Fildern nach Denkendorf umgezogen. Dort läuft seit Juli 2012 im neuen Werk die Produktion und Auslieferung auf Hochtouren. Das Pinion-Getriebe wurde zuvor im eigenen Prüflabor eingehend getestet, so dass ein Höchstmaß an Qualität und Zuverlässigkeit gewährleistet ist. "Wir testen auf dem gleichen hohen Niveau und mit den Prüfstandards, die auch in der Automobilindustrie angewendet werden," versichert Schmitz. Wer also demnächst mit einem neuen Pinion-Getriebe-Bike auf dem Trail unterwegs ist, kann sicher sein, dass er dabei kein Versuchskaninchen sein wird, sondern ein dauerhaft haltbares Produkt erhält, auf das Verlass ist. Wer davon allein nicht überzeugt ist, lässt sich womöglich davon beeindrucken, dass Extrembiker Felix Fröhlich 2010 mit einem Pinion Getriebe-Prototypen den Himalaya durchquert hat. Probleme? Keine.
Bei der letztjährigen Messe Eurobike und dem Eurobike Demoday haben zwölf Fahrradhersteller von Mountainbikes, Trekking- und Urban-Bikes bis hin zu E-Bikes ihre neuen Modelle mit Pinion-Antrieb präsentiert. "Die Reaktionen waren wie schon im letzten Jahr sehr positiv", berichten die Geschäftsführer einhellig. "Weitere Fahrradhersteller wollen ihre Bikes auf unsere Getriebe abstimmen und ausrüsten." Einen schicken Katalog haben die Jungunternehmer auch schon herausgebracht. Darin zeigen sie neben Details der Getriebetechnik auch die Fertigung, erläutern die Testverfahren und lassen die Fahrradliebhaber hinter die Kulissen schauen.