Keramik zum Knautschen

Wissenschaftler der Universität Stuttgart und des Max-Planck-Instituts entwickeln einen Werkstoff nach dem Vorbild von Perlmutt

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Ganz und gar nicht zerbrechlich: die neue Knautschkeramik. Foto: Carmen-M. Müller

Hauchdünn, durchsichtig und rötlich schimmernd ist das Blättchen, das Dr. Zaklina Burghard mit der Pinzettenspitze greift. Dass es sich hierbei um Keramik und nicht um Transparentpapier handelt, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Doch Burghard muss es wissen: Für die Universität Stuttgart forscht sie mit Wissenschaftlern des Stuttgarter Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme seit mehreren Jahren an einer neuen Art von Keramik, die mit Tassen und Tellern nur noch wenig gemein hat.

Vanadiumpentoxid-Keramik – so lautet der sperrige Name des neuen Werkstoffs. Dahinter verbirgt sich das durchsichtige, papierähnliche Material, das fest wie Kupfer und elastisch zugleich ist: "Man kann es wie eine Ziehharmonika falten, rollen oder knautschen, ohne es zu zerbrechen", sagt Burghard. Doch damit nicht genug: Im Gegensatz zu herkömmlicher, isolierender Keramik leitet das neue Material elektrischen Strom. Darum soll es in vielen Bereichen angewendet werden können, zum Beispiel in Lithiumbatterien, chemischen Sensoren oder künstlichen Muskeln.

Herkömmliche Keramik hat eine hohe Härte und Festigkeit, aber eine geringe Bruchfestigkeit – darum zerschellt Geschirr leicht. Diese bezeichnet, wie widerstandsfähig ein Material gegen Rissbildung ist. Burghard und ihre Kollegen sind daher seit 2008 auf der Suche nach einer neuen Art von Keramik, die hart, zäh und bruchfest ist.

Ein bereits existierendes Vorbild für ihre Forschung fanden sie in der Natur, genauer gesagt im Meer: Das silbrig schillernde Perlmutt im Inneren von Muschelschalen, Krebspanzern oder Schneckenhäusern, das seine tierischen Bewohner vor Fressfeinden schützt. Dieses Biomineral besteht aus kleinen, harten Aragonitplättchen und elastischem, organischen Material, die – Schicht auf Schicht – wie eine Ziegelmauer angeordnet sind.

Genau so ist die neue Keramik aufgebaut, die ebenfalls aus einer harten und einer weichen Komponente besteht: Einzelne Nanofasern, die schon zuvor entwickelt wurden, bündeln sich und formen plankenförmige, harte Platten. Diese stapeln sich in mehreren Lagen übereinander und sind für die Festigkeit der Keramik verantwortlich. Der weiche "Mörtel", der die Platten zusammenhält, ist Wasser. Er sorgt für die Bruchfestigkeit, so dass sich die Rissbildung verlangsamt oder stoppt.

Die Herstellung der neuen Keramik ist energiearm, umweltfreundlich und geschieht fast von allein: Auf eine Unterlage werden Nanofasern und Wasser aufgetragen, die anschließend bei Raumtemperatur mehrere Stunden lang trocknen. "Das passiert meist über Nacht. Abends herrscht Unordnung und wenn wir am nächsten Tag wieder ins Labor kommen, haben sich die Fasern exakt ausgerichtet", sagt Burghard beim Blick durch das Mikroskop. Anschließend wird mithilfe von niedriger Hitze das verbliebene Restwasser entzogen, bis die beste Kombination der drei mechanischen Eigenschaften erreicht ist.

Am Ende dieses Vorgangs entsteht das Keramikpapier mit einer Dicke von 0,5 bis 2,5 Mikrometern und einer Länge von mehreren Zentimetern. Und wer sich an der Farbe Orange stört, kann unbesorgt sein: Durch die Zugabe von Farbpartikeln wären theoretisch auch Grün und Blau denkbar.

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