Als erste Papierfabrik Europas fertigte Scheufelen 1892 erstmals in Europa zweiseitig gestrichenes Papier, das so genannte Kunstdruckpapier. Seitdem gehört das Premium-Kunstdruckpapier zu den besten Papieren in Europa und wird in über 50 Länder, darunter die USA, Neuseeland, Australien und Japan exportiert. Der junge Lehrer Carl Scheufelen, der in der Anfangszeit der industriellen Papierproduktion, im Jahr 1855, eine Papiermühle im Lenninger Tal bei Kirchheim unter Teck in der Region Stuttgart erwarb, hätte sich gewiss nicht träumen lassen, dass sein Papier Geschichte schreiben würde: als das erste schwer entflammbare Papier der Welt, das sogar bei den Apollo-Flügen zum Mond im Jahr 1969 mit an Bord war. Heute beschäftigt das Familienunternehmen Scheufelen 900 Mitarbeiter und stellt täglich 700 Tonnen Kunstdruckpapier her. Die Produktionsprozesse werden durch modernste Systeme gesteuert. Mehrstufige Abwasserreinigungsanlagen garantieren die Einhaltung aller gesetzlich geforderten Einleitebedingungen.
Als der kaiserlich-chinesische Hofmarschall Tsai Lun im Jahr 105 einen Beschreibstoff aus Maulbeerbaumrinde, Hanf und alten Fischernetzen anfertigte, anschließend schöpfte und trocknete, stimmte er nicht nur seinen Kaiser gnädig. Er schuf damals die Grundlagen für die Zubereitung von Papier. Das Verfahren wurde zwar seither vielfach perfektioniert, das Prinzip hat sich aber nicht verändert.
Zunächst blieb die Papierherstellung ein gut gehütetes Geheimnis – bis in Samarkand im Jahr 752 die erste Papierfabrikation außerhalb Chinas ihren Betrieb aufnahm. Die erste Papiermühle Europas begann 1276 in Italien mit der Papierproduktion, 1390 folgte
die erste deutsche Papiermühle in Nürnberg. In ganz Europa entstanden weitere Mühlen, da die Nachfrage nun ständig wuchs. Anfangs nur zum Schreiben benutzt, fand das Papier zu Beginn des 15. Jahrhunderts auch beim Druck von Holzschnitten, Radierungen und Kupferstichen Verwendung. Nach Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks stieg der Papierverbrauch drastisch an. Als der junge Lehrer Carl Scheufelen im Jahr 1855 eine Papiermühle im Lenninger Tal am Flüsschen Lauter zur Pacht übernahm, war das Zeitalter der Papiermaschinen längst angebrochen: Sie verfügten – seit 50 Jahren – über ein umlaufendes, fließbandartiges Schöpf-sieb und eine integrierte Trockentrommel.
Vom Revolutionär zum Papierfabrikanten
Das Pachtgeld für die alte Mühle erhielt Carl Scheufelen von seinem Schwiegervater, der um die materielle Zukunft seiner Tochter besorgt war. Da Carl Scheufelen als
ehemaliger Aktivist der Revolution von 1848/49 kaum Aufstiegschancen im Schuldienst zu erwarten hatte, war diese "Mitgift" eine willkommene Starthilfe. Schon bald konnte er das Darlehen zurückzahlen. Er kaufte die Mühle, die sich dank eines Konjunkturaufschwungs und der steigenden Papiernachfrage schnell zu einer mittelständischen Fabrik mauserte. Scheufelen modernisierte die Anlagen, kaufte 1876 eine Lang-siebmaschine für endloses Papier und forcierte damit die Herstellung mittelfeiner und feiner Druck- und Schreibpapiere. "Mein Urgroßvater belieferte lange Zeit die Illustrierten mit Papieren, darunter die sehr populäre und auflagenstarke Zeitschrift Gartenlaube, die nach der Revolution im Jahr 1853 gegründet wurde", sagt Ulrich Scheufelen, Urenkel des Gründers und Sprecher der Papierfabrik.
Im Jahr 1892 übernahmen die Söhne Adolf und Heinrich Scheufelen den Betrieb. Auf einer selbst gebauten Streichmaschine fertigen sie erstmals in Europa zweiseitig gestrichenes Papier – das heutige Kunstdruckpapier. "Natur belassenes Papier wurde veredelt, indem man eine Schicht aus Pigmenten und Bindemitteln aufstrich", erklärt Ulrich Scheufelen den Vorgang des Streichens. "Es konnte besser bedruckt werden, vor allem aber kam es dem damals neuen Rasterdruckverfahren sehr entgegen."
Das Geschäft mit gestrichenen Papieren florierte zunehmend, denn höherwertige Zeitschriften und Werbebroschüren lagen im Trend. 1895 firmierte das Unternehmen um und hieß nun "Erste Deutsche Kunstdruck Papierfabrik Carl Scheufelen". Mitte der 1930-er Jahre trat die dritte Generation in die Firma ein. Während des Krieges blieb die Fabrik zwar unzerstört, mehrere Jahre stand sie aber wegen Rohstoffmangels still, aber schon 1946 nahm das Unternehmen mit der Produktion von Schulbuchpapier den Betrieb wieder auf.
Papier für die NASA – Papier für den Mond
Heute werden bei Scheufelen nur gestrichene Papiere in zwei Qualitäten hergestellt: Papiere der gehobenen Mittelklasse für den Bilderdruck und ein Premium-Papier für den Kunstdruck. Immer neue Anlagen, Papier- und Streichmaschinen sorgen dafür, dass Scheufelen wettbewerbsfähig bleiben kann. "Die Auftragslage war für uns in der letzten Zeit recht problematisch", gibt Ulrich Scheufelen zu. "Die Krise der Zeitungs- und Werbebranche hat auch uns getroffen. Deshalb konzentrieren wir uns stärker auf die Premium-Papiere, wo unser Marktanteil bei 50 Prozent liegt." Abgesehen von Schwankungen wie sie der gesamte Markt in letzter Zeit verkraften musste, behauptete sich das Familienunternehmen wie ein David gegen die Goliaths der Großkonzerne. "Die meisten Papierfabriken, die in Familienbesitz waren, sind längst aufgekauft worden. Wir gehören zu den wenigen verbliebenen Familienbetrieben in der Papierindustrie", sagt Ulrich Scheufelen. "Und daran wird sich so schnell auch nichts ändern."
Dass mittelständische Familienbetriebe flexibler und innovativer auf Nachfragen und Trends reagieren können, bewies Scheufelen Ende der 1960-er Jahre, als man für die NASA ein schwer entflammbares Papier für die Apollo-Flüge zum Mond entwickelte. Bei NASA-Übungen im Vorfeld der Mondexpedition war es zu einem schweren Unfall gekommen, bei dem mehrere Astronauten uns Leben kamen und die Bordbücher verbrannten. "Daraufhin hat sich die NASA entschlossen, für die Bordbücher und Plakate mit Verhaltensanweisungen nur noch Papier aus schwer entflammbarem Material zu verwenden", erinnert sich Ulrich Scheufelen. "Es folgte eine Ausschreibung und da wir die schnellsten waren und die NASA unter enormem Zeitdruck stand, erhielten wir den Auftrag, die Apolloflüge mit Papier auszustatten."
Alte Handwerkkunst, moderne Maschinen und glückliche Forellen
Am Prinzip der Papierherstellung hat sich bis heute wenig verändert. Was früher manuell geschah, wird heute mit modernsten Maschinen bewerkstelligt. Im Pulper (Stoffauflöser) wird der Zellstoff – Zellulosefasern, die aus zerkleinerten Holzschnitzeln bestehen, die in Säuren oder Laugen unter hohem Druck gekocht wurden – unter Zugabe von Wasser zu einem dünnen Brei aufbereitet. Die eigentliche Kunst der Papierherstellung beginnt mit der anschließenden Mischung der Faser-, Füll- und Hilfsstoffe. Der daraus entstehende Faserbrei wird von groben Teilen gereinigt, fein gemahlen und anschließend auf das Sieb der Papiermaschine gepumpt. Das laufende Sieb führt den Stoff durch Entwässerung rasch in die feste Form der Papierbahn über. Nach der Siebpartie folgt das Pressen und das Trocknen des Papiers. Während des Durchlaufs steuern moderne Systeme die gesamte Produktion. Am Ende der Maschine wird das Papier auf den so genannten Tambour, eine riesige Rolle, gewickelt. Danach folgt die Veredlung: Auf Glättschaberstreichmaschinen erhält das Papier auf jeder Papierseite einen zweimaligen Strichauftrag aus Pigmenten und Bindemitteln. "Als nächstes stellt sich die Frage, ob die Papieroberfläche glänzend, halbmatt, matt oder geprägt sein soll", erklärt Ulrich Scheufelen. Glanz und Glätte entstehen durch den gleichzeitigen Einfluss von Druck, Reibung, Feuchtigkeit und Wärme mehrerer Walzen, die in verschiedenen Geschwindigkeiten gegeneinander laufen. Matte Papiere werden nach dem Streichvorgang nicht mehr weiterbehandelt.
Eine Rollenschneidemaschine sorgt für die gewünschte Rollen- oder Formatbreite. Schmale Rollen kommen entweder in den Versand oder zum Sortierquerschneider, auf dem sie zu Bogen geschnitten werden. Alle gängigen Papiersorten befinden sich am Lager. Bei besonderen Kundenwünschen beträgt die Lieferzeit meist nicht mehr als zehn Tage, nur bei seltenen Papierformaten kann sie auch mal fünf Wochen betragen. "Wir beliefern vorwiegend den Feinpapiergroßhandel, die Rollenpapiere, die wir im kleineren Umfang herstellen, werden direkt an größere Druckereien und Verlage geliefert", sagt Ulrich Scheufelen.
Die Papierfabrik liegt nicht nur idyllisch eingebettet im Lenniger Tal, sondern auch verkehrsgünstig und im frachtnahen Bereich vieler Kunden. Man erwägt, in Zukunft, verstärkt den Nahbereich zu forcieren. "Die wachsende Transportbelastung und die Einführung der Mautgebühren geben uns zu denken", sagt Ulrich Scheufelen. Da es in Süddeutschland die größten Druckkapazitäten Europas gibt, wäre die Konzentration auch im Sinne der Umwelt. "Denn die liegt uns sehr am Herzen, die Wasserqualität im Lenninger Papierwerk besitzt die Güteklasse zwei, das ist sehr gutes Wasser", sagt Ulrich Scheufelen. "Gesunde Forellen und Flusskrebse sind der beste Beweis dafür."
Aus Liebe zum Papier: ein Papier- und Buchkunstmuseum im alten Fachwerk
Im Jahr 1992 stiftete die Papierfabrik der Gemeinde Lenningen ein öffentliches Museum für Papier- und Buchkunst. Anlass war ein Jubiläum: Die Erfindung des Kunstdruckpapiers und die Inbetriebnahme der ersten Streichmaschine Europas jährte sich zum einhundertsten Mal. Im Lenninger "Schlössle", einem Denkmal geschützten Fachwerkhaus aus dem 16. Jahrhundert, befinden sich auf 200 Quadratmetern Bücher, die man nicht lesen und Papier, das man nicht beschreiben kann. Das verbindende Thema der wechselnden Ausstellungen ist die künstlerische Bearbeitung von Papier und Papierprodukten. "Das Ziel des Museums ist es, mehr Verständnis für den künstlerischen Umgang mit dem Material Papier zu wecken", erklärt Ulrich Scheufelen. "Moderne Papierkunst entstand in Europa Anfang des 20. Jahrhunderts. Künstler wie Picasso und Georges Braques bearbeiteten bedrucktes oder unbedrucktes, meist aber industriell gefertigtes Papier."
In knapp zwei Jahren wird die Papierfabrik ihr 150-jähriges Bestehen feiern. Höchstwahrscheinlich wird dann auch die fünfte Generation mit Ulrich Scheufelens Söhnen durch die ehrwürdigen Fabrikhallen wandeln.