Von außen ist das kleine Gotteshaus schlicht und unscheinbar. Innen ist es ein Juwel, das die anderen Stuttgarter Kirchen in ihrem kunsthistorischen Rang weit übertrifft. Die Veitskapelle in Stuttgart-Mühlhausen hat in ihrer mehr als sechs Jahrhunderte langen Geschichte vieles überstanden – sowohl Kriegsschäden als auch kirchliche Bilderstürme der Reformationszeit. Sie blieb überdies von entstellenden Umbauten verschont. Der Zahn der Zeit hatte dennoch an den Mauern genagt, ebenso Bausünden, wie die geteerte Außenfläche, über die das Regenwasser direkt ins Mauerwerk lief.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Veitskapelle innen wie außen aufwändig saniert, um die außergewöhnlich reichen und wertvollen Wandmalereien zu bewahren, die durch bröseliges Mauerwerk zu angegriffen waren. Die Bedeutung der Kapelle wurde bei der Sanierung bestätigt. Die Kunsthistoriker und Denkmalpfleger betonen, dass die Wandmalereien in einer seltenen Vollkommenheit überliefert sind. Sie zählen zu den kunsthistorisch bedeutendsten Bildkunstwerken ihrer Zeit in Baden-Württemberg.
Einflüsse der Künstlerfamilie Parler
Die prächtigen Wand- und Gewölbemalereien stammen aus dem 14. bis frühen 15. Jahrhundert und schmücken den gesamten Kirchenraum. Der Chor, als liturgisch wichtigster Raum, ist am aufwändigsten ausgestattet. Auf zwölf Wandfeldern wird die Legende des heiligen Veit erzählt, der als Sohn eines römischen Senators auf Sizilien zur Welt kam, bereits während seines Lebens viele wundersame Dinge vollbrachte und etwa im Jahr 303 dem Märtyrertod starb. Seine Verehrung dehnte sich schnell auch nördlich der Alpen aus. In mehr als 150 Kirchen werden bis heute Veitsreliquien aufbewahrt. Das bekannteste Gotteshausunter ihnen ist der gotische Veitsdom in Prag. Dessen Architektur wiederum prägte maßgeblich die berühmte, aus Schwäbisch Gmünd stammende Architekten- und Bildhauerfamilie Parler.
Der geschnitzte Hauptaltar aus dem Jahr 1510 rückt die drei Kirchenheiligen Veit in der Mitte, links Wenzel und rechts Sigismund in den Vordergrund. Der heutige Hochaltar ersetzte den ehemaligen "Prager Hochaltar", der heute in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen ist. Im Chor zeigen die Malereien das Weltgericht und im Zentrum des Gewölbes die Marienkrönung, geflügelte Evangelistensymbole stehen den dargestellten Kirchenvätern gegenüber. Fünf Szenen bringen das Marienleben näher. In den unteren zwölf Feldern veranschaulichten die Künstler das Leben des Kirchenpatrons Veit. Weitere Attraktionen der Veitskapelle sind ein Reliefbild, das die ohnmächtige Maria nach dem Tod ihres Sohnes zeigt, sowie die Grabmale der Ortsherren. Weitere spätgotische Schnitzaltäre aus dem beginnenden 16. Jahrhundert stellen einige Jünger und Märtyrerinnen dar. Die flache Holzdecke und die Westempore wurden 1488 eingefügt.
Bausünden und andere Schäden
Das kunsthistorische Kleinod in Stuttgart-Mühlhausen entstand über Beziehungen des damaligen Ortsherren Reinhard von Mühlhausen. Dieser lebte im Umfeld des Kaiserhofes Karls IV. in Prag, wo er und sein Bruder im Dienste der Grafen von Württemberg standen. Aus der blühenden Handelsmetropole, die damals das politische wie wirtschaftliche Zentrum Mitteleuropas war, ließ der Kirchenstifter die besten Handwerker nach Mühlhausen kommen. Vermutlich gehörten dazu sogar Meister aus der legendären Prager Dombauhütte, die von der europaweit angesehenen Künstlerfamilie Parler geleitet wurde. Wie eine Inschrift bezeugt, wurde der Kirchenbau im Jahr 1380 begonnen.
Als vor einigen Jahren der Dachstuhl genauer in Augenschein genommen wurde, wurde das Ausmaß der Schäden erst ersichtlich. Durch Insekten, Pilze und Fäulnis war das Holz morsch geworden. Durch Risse im bröselnden Mauerwerk und Feuchtigkeit in den Mauern waren die Malereien akut gefährdet. Als eine Bausünde aus den 1960er Jahren wurde der Teerbelag rund um die Kirche erkannt, der das Regenwasser direkt an die Sandsteinmauern leitete, die sich mit Wasser vollsogen. Die komplette Sanierung kostete 2,5 Millionen Euro. In den vergangenen eineinhalb Jahren war die historische Veitskapelle das Refugium der Statiker, Restauratoren und Denkmalschützer. Das Landesamt für Denkmalpflege sandte seine Restauratoren aus, die das historische Gebäude, dessen Mauern nach außen drifteten, fachkundig untersuchten, sicherten, Risse ausbesserten und den Schmutz, der auf den Malereien lag, in mühevoller Kleinarbeit entfernten.
Viele generöse Spender
Besonders aufwendig war der neue Putz, der nach einem mittelalterlichem Originalrezept von Hand angerührt und aufgetragen wurde. Zudem wurden alle Malereien, Altäre und Statuen sorgfältig restauriert und eine neue Heizung eingebaut. Ohne Spenden wäre das Mammutprojekt rund um die kleine Kapelle nicht möglich gewesen. Neben Bund, Land, Stadt und dem Landesamt für Denkmalpflege förderten ein rühriger Förderverein, viele private Spender, wie auch Unternehmen sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Wiederauferstehung des historischen Gotteshauses. Am vergangenen Weihnachtsfest feierte die Gemeinde erstmals wieder den Gottesdienst in der sanierten Kirche. "Stuttgart braucht diese Kirche. Sie ist ein Teil ihres kulturellen Gedächtnisses," sagt Pfarrerin Charlotte Sander.
Die Veitskapelle ist sonntags zum evangelischen Gottesdienst geöffnet, im Sommerhalbjahr auch Sonntag nachmittags. Die Besichtigung der Kirche ist außerhalb dieser Zeiten nach Voranmeldung beim Evangelischen Pfarramt in Stuttgart-Mühlhausen möglich.