7.200 Stifte führen Blinde in die Windows-Welt

Die Metec Ingenieur AG aus Stuttgart revolutioniert die Bedienung des Computers für Blinde

© Metec AG

Der Metec Ingenieur AG aus Stuttgart ist ein technologischer Durchbruch geglückt, der es blinden und sehbehinderten Menschen ermöglicht, den PC ebenso souverän zu bedienen wie Sehende. Das grafikfähige Stiftdisplay "HyperBraille" vermittelt einen strukturierten Überblick über den gesamten Bildschirminhalt. Das Display kann Textabsätze, Tabellen, Menüs und andere Elemente der Benutzeroberfläche darstellen und räumliche Strukturen sowie grafische Symbole erschließen. HyperBraille für Windows wird zunächst in Schulen und Universitäten zum Einsatz kommen, im nächsten Schritt sollen Pilotarbeitsplätze eingerichtet werden.

Den meisten der rund 145.000 Blinden und über 500.000 Sehbehinderten in Deutschland gelingt es, ihren Alltag ganz gut zu meistern. Wenn es aber darum geht, sich selbstständig Zugang zu Texten, Tabellen, Menüs, Grafiken und anderen Elementen der Windows-Benutzeroberfläche zu verschaffen, sind sehbehinderte und blinde "User" stark benachteiligt. Im DOS-Zeitalter waren sie noch ganz gut zurecht gekommen. In der heutigen Windows- und Internet-Welt, die sich kaum in Blindenschrift übertragen lässt, haben sie jedoch fast keine Chance, sich ihren Lebensunterhalt mit qualifizierter Bildschirmarbeit zu verdienen.

Der Metec Ingenieur AG aus Stuttgart ist nun ein technologischer Durchbruch gelungen, der es Blinden ermöglicht, ebenso souverän mit dem PC umzugehen wie Sehende. Die Erfindung heißt "HyperBraille" und besteht aus einem grafikfähigen taktilen Display. "Mein Ziel war es, die Integration von Blinden ins heutige Arbeitsleben maßgeblich zu verbessern", sagt Metec-Vorstand Dipl.-Ing. Uwe Grotz, der zunächst als Ingenieur in der Dentalindustrie gearbeitet hatte und nun seit 2004 die Geschicke der Metec AG lenkt. "Die bisherigen Technologien, die mehrheitlich nur Texte darstellen können, bereiten den Bildschirminhalt so auf, dass alles nacheinander vorgelesen bzw. ertastet wird. Den Anwendern fehlt der Überblick, sie erfassen Inhalte sehr langsam und benötigen eine enorme Konzentration und Merkfähigkeit." Auch Programme wie Excel oder Power Point konnten bisher nur unzureichend in Brailleschrift übersetzt werden.

Das "iPad für Blinde" ersetzt zwölf konventionelle Braillezeilen

Mit HyperBraille bietet die Metec Ingenieur AG die weltweit einzige Lösung an, mit der grafische Strukturen ertastet werden können und Touch-Screen-Funktionen beinhaltet. Mit dem Ziel, elektro-magnetische Braille-Module zu entwickeln und zu produzieren war die Metec Ingenieur AG 1974 am Institut für Konstruktion und Fertigung in der Feinwerktechnik der Universität Stuttgart gegründet worden. Bereits 1975 brachte sie den weltweit ersten Taschenrechner mit Braille-Anzeige auf den Markt. "Damit läuteten wir das Elektronik-Zeitalter für Blinde ein", sagt Uwe Grotz. Ab 1987 wurden Braille-Module auf Basis der damals neuartigen Piezotechnologie hergestellt; seit 2002 arbeitet man an der Idee, ein berührungsempfindliches Stiftdisplay herzustellen, das es blinden und sehbehinderten Menschen ermöglicht, mit den Händen graphische Computeranwendungen zu erfassen und zu steuern. "Die Entwicklung des Displays erfolgte in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderten Projekt "HyperBraille", in dem ab 2007 neun Partner zusammen arbeiteten", sagt Uwe Grotz. "Im Jahr 2011 konnten wir das erste Stiftdisplay präsentierten, das man durchaus als eine Art größeres und dickeres iPad für Blinde bezeichnen könnte." Seine Tastfläche besteht aus 7.200 dünnen Stiften, die hoch und runter gefahren werden können, die Oberfläche verfügt über 1.400 Touchsensoren zur Befehlseingabe. Navigationsleisten und Cursor-Kreuze links und rechts lassen ein einfaches Verschieben und Navigieren über die Fläche zu. Die Tastfläche ist aus 720 Einzelmodulen mit je zehn Stiften aufgebaut. Kurven, Landkarten, Tabellen, Formeln oder die Formatierung von Überschriften werden fühlbar dargestellt.

Nicht weniger innovativ als das Display ist die Software, die seine Bedienung ermöglicht, die Abbildung von Grafikelementen auf Braille-Punkten erlaubt und die Interaktion zwischen Nutzern und Computeranwendungen handhabbar macht. Alle PC-Anwendungen, die zunächst nur für Windows funktionieren, wurden in umfassenden Tests auf ihren Nutzen und ihre Akzeptanz überprüft; ergonomische Anforderungen bestimmen die Gestaltung des Displays mit.

Die ersten Geräte sind bereits im Einsatz

Die nicht börsennotierte Metec AG ist heute ein führender Hersteller von Braille-Zeilen und beschäftigt 27 Mitarbeiter. Montiert werden die Produkte, die an Kunden in aller Welt geliefert werden im Stuttgarter Westen. "Wir sind zwar nur ein kleines Unternehmen, doch unser Know-how und das unserer Mitarbeiter haben großes Potenzial", sagt Uwe Grotz. "Wir stellen keine Standardprodukte her und können flexibel auf Anforderungen reagieren. Viele unserer Mitarbeiter können Brailleschrift lesen, ich selbst habe sie auch mühsam erlernt."

Die ersten HyperBraille-Geräte sind bei den Projektpartnern bereits im Einsatz. "Den Endverbraucher kostet solch ein HyperBraille-Gerät rund 50.000 Euro. Wir versuchen derzeit Partner für Pilotarbeitsplätze bei großen Unternehmen, Museen, Blindenverbänden und Universitäten zu gewinnen", so Uwe Grotz. Nun hoffe man auch auf das Engagement der Arbeitsagentur. "Usergruppen aus Blinden, die wir in den Projekten hatten, waren begeistert." Bis diese Lösung Standard sei, werde es wohl trotzdem noch etwas dauern. "Doch auch wenn wir nur ein paar wenigen Blinden und Sehbehinderten durch HyperBraille die Arbeit am PC erleichtern können, hat sich unsere Arbeit gelohnt."

http://www.metec-ag.de

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